Last updated: 17.05.2003 |
Ich liebe Bahnfahren über alles. Seit der Umstellung der betulichen alten Bundesbahn auf eine Aktiengesellschaft mit neuem Logo ganz besonders. Und wer etwa die leise Hoffnung hatte, nun würde alles besser, sah sich bald bitter enttäuscht. Den Berufspendler nach Bremen umschmeichelt der Stadtexpress nach wie vor mit atemberaubenden 50 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Dafür fährt so ein Express wenigstens pünktlich, wenn nicht gerade mal wieder eine suizid veranlagte Kuh darauf besteht, auf den Puffern der Lok ein Stück mitzufahren. Und die ICE's sind in ihrer permanenten Unpünktlichkeit schon beinahe wieder pünktlich. Wie gut oder wie schlecht man mit der Bahn fährt, hängt ausschließlich davon ab, wo man wohnt. Wer, aus welchen Gründen auch immer, auf das eigenen Auto verzichten und dafür öffentliche Verkehrsmittel nutzen will, sollte sich besser nicht im Wurster Land niederlassen. Der Landstrich zwischen Bremerhaven und Cuxhaven ist verkehrsmäßig ungefähr so gut erschlossen wie der Nordpol. Doch eigentlich wollte ich ganz was anderes erzählen. An einem der ersten kalten Oktobertage stehe ich auf dem zugigen Bahnsteig in Bremen und trete wieder mal eine Dienstreise an. Der ICE 973, einer aus der zweiten Generation, soll mich nach Hannover, der ICE 789 dann weiter nach Nürnberg bringen. Laut Bahnsteigbeschilderung "planmäßige Ankunft 11 Uhr irgendwas, - Reinigung, bitte nicht einsteigen -, planmäßige Abfahrt 12:16 Uhr". Um 12:36 setzt sich das Technikwunder mit den Miniatursitzen (Exportversion Fernost?) und dem LCD-Bildschirm (ohne Programmangebot) in der Rückenlehne, ungereinigt, endlich in Richtung Hannover in Bewegung. Selbstverständlich nimmt man die Entschuldigung des Zugchefs an. Ja, man hat auch Verständnis. Wenn da nicht das Umsteigen in Hannover wäre. Adrenalin hin, Sorge um die Anschlußverbindung her. Wie sich herausstellt, habe ich mich umsonst aufgeregt: Der Anschluß-ICE aus Hamburg verspätet sich ebenfalls um 20 Minuten, prima! Der Rest der Reise verläuft dann - der mit geschlossenen Augen grinsend in die Polster gelehnte Businessman in der ICE-Werbung macht's vor - glücklicherweise ohne besondere Vorkommnisse. Doch eine Rundreise besteht ja bekanntlich aus Hin- und Rückreise. Drei Tage später stehe ich erneut auf einem Bahnsteig in Nürnberg und warte auf den IC 520, der mich um 12:31 Uhr nach Würzburg bringen soll. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß ich selbstverständlich frühzeitig für die Hin- und Rückfahrt einenNichtraucherplatz reservieren ließ, und genau das frühzeitig war der große Fehler. Warum, wird dem Leser später klar werden. Kaum habe ich meinen Platz eingenommen, sehe ich, wie sich genau eine Sitzreihe vor mir blaue Tabakwolken gegen die vergilbte Wagendecke kräuseln. Nanu, denke ich, bin ich etwa versehentlich im Raucherbereich gelandet? Ein schneller Blick auf die Platzkarte, nein, alles richtig: Datum, Wagennummer, Sitznummer und im richtigen Zug bin ich auch. Was ist passiert? Entsetzt sehe mich in diesem Großraumwagen - späte 60er-Jahre, weinrote(!) Plüschsitze - um und stelle fest, daß der Unterschied zwischen Raucher- und Nichtraucherbereich einzig in der Beschilderung besteht! Keine Trennwand, keine Türe, NICHTS! Und der Qualm hält sich strikt an die Verbotsschilder, klaro! Ich wünsche die Herrn Großraumwagen-Designer und Ingenieure zum Teufel, die so einen konsequenten und aufwendigen Nichtraucherschutz betreiben - und alle Raucher gleich mit. Gallig sinniere ich darüber nach, welche Umstände mich just auf diesen Platz verschlagen haben. Frühreservierer - und dann direkt an der Grenze zur Raucherzone!? Schon klickt's: Der Platzreservierung liegt Logik zugrunde, die wiederum in ein Programm einfließt - eben in das Platzreservierungssystem der Bahn-AG. Ich spinne den Gedanken weiter und sehe im Geiste die Kollegen Systemanalytiker und Programmierer - alles Raucher - eine Blaupause des Waggons vor sich ausgebreitet, das Schema festlegen: Der Wagen ist leer, ein Nichtraucher möchte einen Platz reservieren. Ja, welches Schweinderl nehmen wir denn, wo fangen wir an? Logo, genau an dem Platz, den ich jetzt wärme. Wäre ja zuviel verlangt, zuerst den entferntesten Platz von der Raucherzone zu vergeben! In Würzburg entkomme ich der Großraum-Räucherkammer und darf den ICE 588 besteigen, der mich weiter nach Hannover bringen soll. Bis auf die geringe Beinfreiheit zwischen mir und der Menschin gegenüber gibt's nicht viel zu bemängeln. Das ändert sich, als ich im IR 2486 meinen - wiederum früh-reservierten - Sitzplatz einnehme. Der Zug ist rappelvoll, überheizt und die Luft stickig. Eine Zeitgenossin hat sich obendrein mit der Dosierung Ihrer "persönlichen Note" vertan und terrorisiert ihre Umgebung mit irgend einem Ätzwasser; es stinkt jedenfalls wie in einer Douglas-Filiale. Wenn die wüsste, daß sie bei mir genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie vielleicht mit der "Duftauflage" bezweckt! Kürzlich erst hat sich ein Essayist im SPIEGEL über den allgegenwärtigen Lärmterror ausgelassen. Ähnliches gilt für "Düfte" dieser Art. Kaum hat sich der Interregio in Bewegung gesetzt, fällt mir der rege Durchgangsverkehr im Wagen auf. Ich blicke hoch und starre ungläubig durch die Glastüre in das direkt angrenzende, stark verqualmte MITROPA-BISTRO! Türe auf, Türe zu - muß ich noch mehr sagen!? Bei mir setzt sich der Gedanke fest, daß hierzulande eigentlich relativ wenig Amok gelaufen wird. Ich bin ehrlich wütend - wieder die Arschkarte gezogen! Und der Interregio-Wagen, in dem ich nun sitze, stammt nicht aus Zeiten, wo Raucher und Nichtraucher dank extremer Dulderhaltung letzterer noch friedlich koexistierten! Warum, um alles in der Welt, grenzt ausgerechnet das Nichtraucherabteil an die Restauration? Gedankenlosigkeit? Absicht? Kann mir das mal ein Verantwortlicher der Bahn-AG verraten? Doch meine Reise ist noch nicht zu Ende, einmal Umsteigen in Bremen hätte ich noch vor mir. Wenn alles nach Plan geht, bleiben mir ein paar Minuten, um den IR aus Luxemburg auf dem anderen Bahnsteig zu erwischen. Kurz vor dem Einlaufen in Bremen zieht dann so ein Hallodri noch die Notbremse. "Ein gewisser Herr Wolfgang", wie der Juniorzugbegleiter in schönstem sächsisch seinem Chef vermeldet, "war nicht Absicht!". Na super, da geht er hin, mein Anschlußzug. Ein letztes mal rettet mich die verlässliche Mischung aus Pünktlich- und Unpünktlichkeit des Bahnbetriebes vor dem Nervenzusammenbruch: "Vereehrte Fahrgäste, der IR von Luxemburg nach Cuxhaven, planmäßige Abfahrt 17 Uhr, verspätet sich voraussichtlich um 15 Minuten" plärrt es aus dem Lautsprecher. Als dann eine Stunde später die Abgasschwaden der Diesellok durch das Abteil ziehen, weiß ich, daß der Bahnhof Lehe hinter uns liegt und dort nicht nur die Elektrifizierung endet. Wie sagte doch mal ein Bundesbahner zu mir: "Mit dem Kauf einer Fahrkarte erwirbt man das Recht auf Transport. Nicht mehr und nicht weniger." Wie recht er doch hatte! Die Bahn hält ihre Versprechen, wortwörtlich! |