BESCHWERDE EINES BAHNFAHRERS DER ZUSTAND DER BAHN AG ANFANG DES JAHRES 2000 Vorwort Der Pendler Die Bahn AG Die Politiker Die Realität Über den Charme, den die veralteten Nachkriegs-Waggons ausstrahlen, braucht auch nicht weiter diskutiert zu werden. Es reicht nach Ansicht der Bahn völlig aus, wenn in den Ballungszentren und im Fernverkehr moderne Züge eingesetzt werden. Wo liegt Cuxhaven überhaupt? Pünktlichkeit ist auch kein Thema für die DB. Aber so weit, dass die allgegenwärtige Unpünktlichkeit planbar wird, will die Bahn wieder nicht gehen. Wäre ja noch schöner: Timen, einsteigen und losfahren! Wo bleibt da der Thrill, das Abenteuer? Bremen Hauptbahnhof: Einige Fahrgäste dürften das Verlassen des Bahnsteiges wegen einer Durchsage, der Zug habe leider 20 Minuten Verspätung, nachträglich bedauern. Diejenigen, die die Wartezeit zum Kaffeetrinken genutzt haben, durften nach dem Wiedererscheinen auf dem Bahnsteig die vollzogene Abfahrt ihres Zuges zur Kenntnis nehmen. Pech, denn der Zug kam doch schon nach fünf Minuten Verspätung, von einer entsprechenden Durchsage nichts zu hören. Da kann man nur sagen, so geht's nicht, liebe Fahrgäste! Wer nicht willens ist, ein halbes Stündchen zusätzlich vor Ort auf einen Zug zu warten, hat auch keinen Anspruch darauf, mitgenommen zu werden! Auch die 25-Minuten-Päuschen zwischendurch auf freiem Feld, um mal eben eine Lok zu wechseln, sind durchaus als Service zu verstehen. Wann nimmt der Bahnkunde sonst schon Kenntnis von der ländlichen Topographie im Landkreis Osterholz, oder nimmt sich die Zeit, den Bahnhof Lübberstedt en detail zu studieren? Selbst so triviale Vorgänge wie das Aussteigen gestalten sich mitunter zu einer Fußreise durch den halben Zug, bis man eine noch funktionierende Türe findet, durch die man auf den rettenden Bahnsteig flüchten kann. Immerhin werden diese Türen mit vorgefertigten Schildern beklebt, die auf die eingeschränkte Ein- und Ausstiegsmöglichkeit hinweisen. Schrott allerorten. Bremerhaven-Lehe, 6:14 Uhr, an die Hundert wartende Pendler: Der morgendliche Interregio, der von hier aus eingesetzt wird, kommt erst gar nicht aus dem Startloch. Mit 25 Minuten Verspätung rollt er endlich in den Ausgangsbahnhof. Grund unbekannt, wahrscheinlich Stellwerkcomputer oder -personal Hannover. Bremerhaven-Lehe, 6:14 Uhr: Wagen 8 des Interregio ohne Licht und Heizung. Warum wird der Wagen mitgeschleppt? Streckenfahrplan, gültig ab 30. Mai 1999. Um Verniedlichungen, Beschönigungen und sonstige Ausreden hingegen ist die Bahn AG nie verlegen. Gut geschult, schwafeln die Zugbegleiter von Betriebsstörungen, "außerplanmäßigem Halt", immer begleitet mit der "Bitte um Verständnis". Nein, mein Verständnis ist endlich. Psychologisch geschickt, von Stammkunden längst durchschaut, die Vor-Vorankündigung eines Zuges: Ist abzusehen, dass ein Zug nach der planmäßigen Abfahrtszeit einläuft, erfolgt die 1. Ankündigung der Einfahrt. Der wartende Fahrgast ist erst mal beruhigt, der Zug kommt ja gleich. Erst kurz vor der tatsächlichen Einfahrt, nach weiteren fünf Minuten Wartezeit, ist dann die zweite Ankündigung zu vernehmen. Aber es menschelt auch hin und wieder. Wenn wieder mal Großalarm angesagt ist, sprich: wenn nix mehr geht, dann verkneifen sich die Zugbegleiter schon mal den Kontroll-Rundgang, der sonst immer so schick-forsch durchgezogen wird, wohl aus Angst vor Pöbeleien der genervten Fahrgäste. Die absolute Spitzenleistung in puncto Fahrgastver*schung erbrachte unlängst ein Zugbegleiter eines Stadtexpresses bei Fahrtende Bahnhof Lehe: " ... wir verabschieden uns von Ihnen und hoffen, sie bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen!". "An Bord", das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen! In dem versifften Rappelzug! Fahrgäste, die gewöhnlich morgens am Bahnhof Lehe zusteigen, gehen besondere Risiken ein, wenn sie Wert auf pünktliche Ankunft an ihrem Reiseziel legen. Zu den Spezialitäten des Versorgers gehört nämlich, dass ab und an schon mal ein Zug durchfährt ohne anzuhalten, sei es, weil der Lokführer noch pennt, übellaunig oder in Eile ist. Egal, es bleibt eine traurige Tatsache. Apropos Spezialitäten: Beliebt ist neuerdings die Umwidmung von Zügen. Bei dieser Variante wird der Zug fahrplanmäßig als RE (Regionalexpress) ab Bahnhof Bremerhaven-Lehe verspätet(!) eingesetzt, und schwupps, am Bremerhavener Hauptbahnhof wird dann aus dem RE ein SE (Stadtexpress) mit gravierenden Folgen für Fahrgäste, die auf einen Anschlußzug angewiesen sind oder ihren Flieger erreichen wollen. Für Unkundige: Ein RE hält zwischen Bremerhaven und Bremen nur in Osterholz-Scharmbek und ist entsprechend schnell, ein SE dagegen pausiert an jeder Kanne. Doch damit nicht genug: Die Umwidmung mit der dazu gehörenden Verspätung wird noch getoppt mit einer weiteren 20-minütigen Zwangspause: Eine Schulklasse samt Betreuer fehlt, auf die müsse man noch warten. Da sage noch einer, die Bahn habe kein Herz! Zum Thema Schulklassen fällt mir noch etwas ein: Normalerweise sind Platzreservierungen in Nahverkehrszügen verständlicherweise nicht möglich. Wie es gewisse Lehrer dennoch schaffen, ganze Wagen zur Hauptverkehrszeit am Nachmittag für Schulkinder zu reservieren, bleibt mir rätselhaft. Die vom Arbeitstag geschlauchten Pendler dürfen stehen, damit die Kinder und deren Betreuer -nach einem fröhlichen Weihnachtsmarktbummel- sitzen können! Das verstehe, wer will. Auf jeden Fall bezeichnend für die vorherrschende Ignoranz und Egoismus - vielleicht sogar eine bewußte Message der Lehrer an die Kids: "Seht her, so macht man das". Bremerhaven Hauptbahnhof: Den letzten Schrei in Sachen Pünktlichkeit stellt das schlichte "Nicht Abfahren" von Zügen dar. Sie haben richtig gelesen. Man läßt Fahrgäste um 16:30 Uhr erst in den SE nach Cuxhaven einsteigen und dann im Dunkeln und in der Kälte sitzen. Zehn Minuten nach der planmäßigen Abfahrt kursieren erste Gerüchte unter den Fahrgästen, dass dieser Zug nicht abfährt. Offenbar gab es Augen- oder Ohrenzeugen dafür, dass der Zugführer sich kurzfristig krank gemeldet und den Zug verlassen hat. Ob wirklich krank, oder um dem Arbeitgeber eins auszuwischen, sei dahingestellt. Zum Glück gibt es aufmerksame Fahrgäste, die ihre Leidensgenossen im Zug informieren, denn das Unternehmen ist diesbezüglich völlig unsensibel. Es brilliert eher mit Schweigen und Vertuschen: Der bedauernswerte DB-Mitarbeiter, der den erbosten Fahrgästen in aller Eile den Taxigutschein ausstellte, mußte sich noch einem Vorgesetzten gegenüber rechtfertigen, wie er dazu käme, den Passagieren den wahren Grund der "Betriebsstörung" mitzuteilen. Als ob die Fahrgäste nicht Augen und Ohren hätten! Ein Standby-Zugbegleiter pro größerem Bahnhof wäre ja der schiere Luxus und ökonomisch nicht zu vertreten. Das schlimmste aber ist die Ohnmacht, das Gefühl des Ausgeliefertseins an den Monopolisten. Das Gefühl, dass auch der tägliche Stau ab Bremen Burglesum keine Alternative sein kann, sollte man mit dem Auto liebäugeln. Kein Anprechpartner in der Nähe, an den man sich wenden könnte mit all dem Frust. Es ist eben nicht wie beim Bäcker. Wenn ich da keine Schwedenbrötchen kriege, kaufe ich sie halt in Zukunft anderswo. Also, was tun? Schreiben an die Bahn AG? Lachhaft! Was die wohl mit den zig-tausend täglich eingehenden Protestschreiben machen - klar doch: File 13, der Papierkorb. Bleibt ja unter uns. Bezeichnend für die Denkweise des Vorstandes ist das Verhalten des künftigen Vorstandsvorsitzenden Mehdorn, dessen erste Amtshandlung im Entfernen der "Unpünktlichkeitstafeln" aus den Bahnhöfen bestand! O-Ton: So schlecht ist die Bahn nicht, wie sie dargestellt wird! Signal an die Kundschaft: Auch in Zukunft wird sich nichts ändern! Schreiben an die Politiker? Hätte nicht einmal zu Wahlzeiten Aussicht auf Erfolg. Die Medien auf die Mißstände hinweisen? Welche Zeitung hat den Mut zur Wahrheit, der "SPIEGEL" ausgenommen? Selbst wenn sich ein Redakteur fände: über dem drohnt bekanntlich immer der Verleger, und der hat vielleicht ganz andere Interessen als die Quengeleien von 5000 Pendlern über den Service der Bahn AG zu veröffentlichen. Leserbrief? Wie soll man das in zehn Zeilen packen? Bleibt die Veröffentlichung im Netz!
Ich fordere für den Gegenwert meiner Monatskarte von der Bahn AG oder Betreiber
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