Laufen in Propellerland

Die hierzulande häufige Vorstellung, im Norden sei alles plattes Land, ist tatsächlich nicht ganz richtig. Zumindest an der Küste gibt es einen langgestreckten, ziemlich langen Berg, den man dort Deich nennt. Einer alten Tradition zufolge begeben sich die Deichvögte der umliegenden Gemeinden am Silvestermorgen auf Inspektionstour, um den Deich beziehungsweise seine Unversehrtheit auf der Strecke zwischen Wremen bei Bremerhaven und Cuxhaven zu begutachten.
Dieser Bericht handelt also von dieser Tour, die aus Zeitgründen (das Jahrtausendende rückt unaufhaltsam näher!!) im Laufschritt absolviert wird.



Es ist Silvestermorgen, kalt, neblig und feucht, 8.30Uhr. Treffpunkt ist das Haus von Leitwolf Peter, wo alle pünktlich eintreffen. Eigentlich ist der Leitwolf ja unnötig, denn am Deich hat sich noch keiner verlaufen. Andererseits braucht es immer jemanden, der die schnelleren Leute wieder in die Herde zurückbeisst, damit die Gruppe beisammenbleibt.
Denn gelaufen wird betont langsam, zum einen, weil alle gemeinsam ankommen wollen, zum anderen, weil's gesünder ist.


Mit wem?

Stellen wir uns vor vonlinksnachrechts: Da wäre also der Udo, von Beruf Harry, hol schon mal den Wagen, trainiert fleißig für Roth, wobei ihn auch eine Erkältung nicht anficht. Nicht so gut, denn welche Laufgruppe führt schon einen Defibrillator für solche Gewalttäter gegen die eigene Gesundheit mit sich? Aber er lebt ja noch. Noch.
Der nächste ist Henning, unterm Deich geboren, aufgewachsen, und nun läuft er dort halt rum. Er ist sich unsicher, ob die Laufgruppe bei den Nebel überhaupt wahrgenommen werden kann und winkt deshalb ab und zu. Er wird begleitet/gezogen von seinem Windhund Dina, deren Beine im Laufe der Laufjahre doch ein wenig kurz geworden sind, so dass es mit dem sich-ziehen-lassen nicht mehr so recht klappen will.
Der dritte im Bunde ist Gerhard, dessen Jacke als einzige das Logo der Laufgruppe ziert, die anderen scheinen allesamt zum LV Tschibo konvertiert zu sein. Vierter dann jener legendäre Peter, dessen Laufzeiten nur noch von seinen Online-Zeiten überboten werden, aber das ist bei einem Netzwerkspezialisten ja nun fast unabwendbar. Deshalb ist die Homepage des TUS Wremen auch größtenteils auf seinem Mist gewachsen und unbedingt lesenswert!
Der letzte (nicht: das Letzte!) wäre dann eben der von der TGVA ausgeliehene Gastläufer, meine Wenigkeit.

Wie weit?

Die Streckenlänge beträgt etwa 30km, wird mit vorher gesagt, bei Laufbeginn sind es dann schon 33km und nach fünf Kilometer bekennt Peter, es seien genau 33,961km. Soviel zu Streckenangaben. Meinen Schwur, nie wieder mehr als 30km zu laufen kann ich dennoch einhalten, den Rest bin ich auf der herrlich eisglatten Piste einfach gerutscht. Da der Weg auch als Inliner-Paradies ausgebaut worden ist, geht das im Winter mit Leichtigkeit. Wem's nicht gefällt, kann auf den Deich ausweichen, verschieden lange Beine vorausgesetzt.

Wie schnell?

Auf der Strecke sind regelmäßig Pausen vorgesehen und wunderbarerweise steht an jenen Punkten -oder sollte stehen- ein Auto, dessen Kofferraum sich als Teestube entpuppt. Ab und zu, nicht jedes Jahr, werden wir auch mit selbstgebackenen Müsliriegeln beglückt, deren Konsistenz es mit sich bringt, dass man den Rest der Strecke dann was zu kauen hat und so von der Strecke abgelenkt ist. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Dinger sind gut, setzen aber eine gewisse Grundhärte der Kauleiste voraus.

Wie warm?

Nun bläst in diesen nordischen Weiten ein beständiger feuchtkalter Wind und so verbietet sich leider ein allzu langes Verbleiben an solch gastlichen Orten. Vermutlich wären wir aber bei den Streckenverhältnissen heute noch nicht in Cuxhaven, hätte uns nicht ein gnädiger Südwind beständig gen Neuwerk getrieben. Soviel dazu, was die Preußen alles dem Freistaat Bayern zu verdanken haben.

Ein Halt ist auf dem Hof der Familie Siats: Der Bruder von Henning, unserem winkenden Mitläufer führt den Hof der Familie unterm Deich weiter und auf dem Katzenkopfpflaster vor dem reetgedeckten Haus bekommen wir unser Lieblingselektrolyt, andere würden Apfelschorle dazu sagen.
Nein, das ist kein Stroh, sondern Reet, ein Schilf, dessen stabile Halme hervorragend Wasser aufnehmen und wieder abgeben können. Ein Reetdach hält oft mehr als sechzig Jahre. Einzig das Decken des Daches ist eine höllische Arbeit. Es soll ja lange halten.

Man kann behaupten, ein langer Lauf unterm Deich sei monoton. Allerdings ist diese Laufgruppe kaum zu überhören und die Gesamtdauer der Gespräche unterwegs dürfte die Laufzeit um ein Vielfaches überschreiten, da ständig durcheinander geredet wird und es schier unmöglich ist, alles mitzukriegen. Außerdem sind vom Deichvogt auch reichlich Schikanen eingebaut worden, von denen die Gatter mit dem Seitendurchgang noch die nettesten sind. Außerdem wurde noch geboten: Wackelige Stacheldrahtzäune -ach hätte ich doch bloß meine Lederhose mitgenommen-; überflutete zugefrorene spiegelglatte Pisten, auf denen man sich von Grashalm zu Grashalm hangeln musste und natürlich in Cuxhaven, wo man endlich! wieder einmal völlig verständnislose Spaziergängergesichter genießen durfte. Haben die noch nie Jogger gesehen???
Die letzte Station vor Cuxhaven: Berensch. Oder besser ein Kreuzung zweier Wege in der Wildnis (damit hier nicht der Eindruck entsteht, wir seien durch belebte Gebiete gelaufen). Hier sollte eigentlich der Bus des Vereins stehen. Ja, der Verein hat einen eigenen Bus! Ist ja nicht wie bei arme Leute dort.
Also, hier soll theoretisch ein Bus stehen voll mit Tee, vielleicht Müsli-Riegels und besonders noch vier LäuferInnen, die hier einsteigen und die letzten dreizehn Kilometer mitlaufen wollten: Heike, Walter, Claudia und Renate.
Aber es geht so, wie es allzu oft mit Männern und Frauen im Leben geht: Alles daneben und so ist nix mit Bus! Auch der verzweifelte Versuch, den Wagen per Handy herzubeamen, schlägt fehl. Wir sind uns sicher, dass Thomas das Auto (vor zwei Wochen gekauft!) auf der Eispiste in den Graben gesetzt hat und beschließen, weiterzulaufen. Sehr zum Ärger von Udo (Nur die Haatn komm inn Gaatn!), der hier eigentlich aus- und ins Auto einsteigen wollte.
Hier nun wechselt das Bild: Der ewig lange Berg links weicht einer Dünenlandschaft, die von Kiefern bewachsen den Stürmen der Nordsee und der Touristen trotzt. Ab hier sind die Wege abgezäunt, damit nicht jeder Bayer den tatsächlich wertvollen Strandhafer zertrampelt. Linkerhand kommt Neuwerk in Sicht, ein Haufen Schiffe auf dem Weg nach Irgendwohin und eine Schar Drachenflieger, die sich mühen, dass sich ihre Schnürl nicht hoffnungslos verheddern. Außerdem wie geschrieben die verständnislosen Spaziergänger, die willkommene Objekte des nun folgenden Touri-Slaloms sind.


Wohin?


Nun ist es wirklich an der Zeit, von dem eigentlichen Ziel der Deichbegutachtung
zu schreiben: Es ist das Wellenschwimmbad in Cuxhaven, das neben Wellen auch Whirl und andere wunderbare Entspannungen zu bieten hat. Die drallen Schönheiten (wie von Rubens gemalt, fällt mir ein) im Vordergrund waren ja nun leider nicht mitgelaufen; aber ein Whirlpoolflirt ist wohl dennoch erlaubt? Übrigens sind die Frauen inzwischen auch eingetroffen, es wird am Ende eben doch alles gut!

Während wir gespannt beobachten, wie Peter die Robben auf der Mellumplate perfekt nachahmt, macht uns der Bademeister darauf aufmerksam, dass unsere Zeit abgelaufen ist. Das Bad schließt und wir müssen einen anderen Ruhesitz suchen. Das sind die Rücksitze des Busses, der die Eispiste ohne größere Schrammen und ohne Muskelkater überstanden hat. Nix wie hin, es ist noch Tee da!

Ja, das war nun ein etwas andere Deichlauf. Es bleibt nun noch nachzutragen, dass Norddeutschland und natürlich besonders Wremen immer eine Urlaubsreise wert ist und dass der Silvesterlauf nicht der einzige ist, den dieses sportlich aktive Dorf ausrichtet. Näheres findet Ihr sicherlich auf der oben erwähnten Homepage von Peter!

Achim Grützner