Last updated: 16.01.2021

Wann treffen wir drei wieder zusamm'?    
  Um die siebente Stund, am Brückendamm.  
    Am Mittelpfeiler.

 

Sonne in den Speichen ...

 

The happy biker!Ganz so dramatisch, wie in Theodor Fontanes Ballade "Die Brück' am Tay" beschrieben ist, beginnt der Tag nicht an diesem Sonntagmorgen im August. Auch sind wir nicht zu dritt, wenn wir uns um sieben Uhr morgens an der Autobahnbrücke Debstedt zu einer Ausfahrt an die Oste treffen.

Wir, das ist mein Freund Hartmut und ich. Blitzblank geputzt funkeln die Räder, die Ketten fein säuberlich geölt. Diese Fahrt ist schon zum Ritual geworden im Lauf der Jahre. Irgendwann eher zufällig erkundet und von da an jährlich wiederholt. Wir wählen den schönsten Sonntag aus, den der Monat zu bieten hat. Und auch der frühe Aufbruch lohnt, die Straße ist leergefegt um diese Zeit, Traum jedes Radfahrers! Es ist reichlich frisch und leichter Bodennebel hängt über den Weiden. Darüber, jauchz, der blaueste Himmel, den man sich nur wünschen kann! Dazu bläst ein leichter Wind aus Ost, der bestimmt tagsüber noch auffrischt. In knapp einer halben Stunde habe ich die zwölf Kilometer bis zum Treffpunkt abgestrampelt und bin nun einigermaßen warmgefahren. Ich bin etwas zu früh am Treffpunkt, als Ausgleich kommt Harti später. Also, Warten auf Godot. Bestimmt hat ihn noch eine wichtige "Sitzung" aufgehalten.

Da, endlich, unverkennbar in seinem grellbunten Radlerdress und dem 90er-Tritt - das kann nur er sein. Nach gegenseitigen Glückwünschen, wie gut sich wieder die Witterung unserer Planung anpaßt und meiner Frozzelei ob seines Outfits (Litfaßsäule und so), strampeln wir langsam los in Richtung Bederkesa. Leichtes Frösteln. Jeder hängt erst mal seinen Gedanken nach, nur hin und wieder fällt Belangloses. Wachwerden. Ich lasse die Eindrücke abseits der Strecke auf mich wirken: Rinder auf der Weide, vereinzelt auch Stuten mit ihren Fohlen; Reiher stehen in den Wiesen, fluchtbereit, uns Störenfriede aufmerksam beäugend, und Bussarde suchen die erste Thermik. Der Anprall des Vorderrades an eine Fahrbahnwölbung -eine Baumwurzel hat sich quer durch den Radweg einen Weg gebahnt- reißt mich aus den Gedanken.

Peter und Hartmut
Peter und Hartmut

Überhaupt, Thema Radweg. Die wenigsten davon verdienen den Namen. Sie werden lange geplant, schnell angelegt und danach ebenso schnell wieder vergessen. Pflege, wie sie die Fahrbahnen erhalten - Fehlanzeige: Scherben, Splitt, Absenkungen, weit auseinanderklaffende Verbundsteine, tiefhängende Zweige, abgebrochene Äste vom letzten Sturm und ähnliche Überraschungen warten auf den Benutzer. Oft genug gefährlicher als die Fahrbahn. Die "Oberlehrer" am Steuer ihrer Autos wissen natürlich nichts von dieser Problematik, wenn sie nach knappem Überholen (20 cm Abstand, Strafe muß sein!) mit lang ausgestrecktem Arm auf den Radweg deuten. Radfahrer auf meiner Fahrbahn, wo kommen wir da hin!

Drangstedt und der Flecken Bederkesa liegen hinter uns, wenn wir dem Hinweisschild nach Lintig folgen. In Erinnerung an die Fahrt im Jahr davor eilen die Gedanken voraus zur Gaststätte und Disco "Roes". Nicht daß wir schon durstig wären. Nein, Getränke führen wir selber mit in passenden Flaschen in der Halterung am Unterrohr. Es ist vielmehr die Angst vor den Glasscherben, die, nächtliche Überbleibsel der ländlichen "Sonnabend-Disco", sich über die Fahrbahn verteilen. Mit einem weiten Schlenker über die linke Spur retten wir uns vor einem "Plattfuß", der mit Sicherheit irreparabel wäre. Schnitte zerstören meist die Decke samt Schlauch, da gibt's dann nichts mehr zu flicken.

Angenehm kühl streicht uns der Fahrtwind um Arme und Beine, trotzdem laufen Schweißperlen über unsere Gesichter. Die Sonne steht nun schon ein ganzes Stück höher am Himmel. Wird ein heißer Tag werden, den wir mit "Sunblocker Faktor-16", sorgfältig auf Nacken, Arme und Beine verteilt, entschärfen. Wir schnurren mit knapp 30 km/h auf der schier endlosen Geraden nach Moorausmoor und von da weiter nach Mittelstenahe. Nicht unbedingt das Sahnestück der Tour, aber bei so wenig Verkehr unproblematisch. Dort biegen wir schließlich links ab, nehmen Tempo zurück, bummeln so dahin und genießen in vollen Zügen den von Birken gesäumten Weg über Nordahn, Varrel und Bröckelbeck nach Westersode. Allesamt schmucke Dörfer mit Gastwirtschaft, Schießstand, ein paar Häusern und großen landwirtschaftlichen Anwesen. Und Spitzkehren in der Ortsmitte. Goldgelb setzen sich Weizenfelder ab vom Grün der Wiesen. Der Mais hat seine volle Höhe erreicht und überall stehen Feldlerchen in der Luft, singen aus voller Kehle und freuen sich wie wir. Biker's delight.

In Heeßel haben wir schließlich den Westerberg fast umrundet, eine Hügelkette nördlich von Lamstedt, die in der 65 Meter hohen Georgenhöhe gipfelt. Vorbei an der Pulvermühle an der Einmündung auf die B495, früher ein Geheimtip für Gourmets, sausen wir nach kurzem Anstieg im Leerlauf runter nach Hackermühlen und lassen uns vom Funkeln der Lichter in den Speichen bezaubern. Der Wirtschaftsweg nach Ihlbeck ist aufrüttelnd, im wahrsten Sinn des Wortes: Kopfsteinpflaster und auseinandergequetschte Verbundsteine lassen die Rahmen der Rennräder unangenehm vibrieren und aufschwingen. Wir werden erbarmugslos durchgeschüttelt, das Getränk in der Flasche schäumt. Harti grinst mich an, ihn stören derartige Straßenverhältnisse angeblich nicht - ich habe ihn schwer im Verdacht, daß er es nur nicht zugeben mag! In solchen Augenblicken verwünsche ich das starre Rennrad mitsamt den dünnen Hochdruckreifen! Klar, daß sich nach so anregender Fahrt prompt die Blase zu Wort meldet. Erleichtert sitzen wir dann kurze Zeit später auf einem uralten Holzsteg über einer Wasserlöse. Helm ab, Handschuhe aus, die Beine baumeln über dem Wasser. Wir vertilgen hungrig die Schnitten und schieben noch einen Müsliriegel hinterher. Zeit für eine kurze Rast. Die ersten Cumuluswolken sind aufgezogen und immer noch herrscht sonntägliche Ruhe ringsum. Meine Gedanken gehen zurück in die Zeit, als ich als Lehrling mit einem geliehenen Rennrad die ersten längeren Touren unternahm. An einen Fahrradboom, wie wir ihn heute erleben, war damals noch nicht zu denken.

Schwärme lästiger Fliegen umtanzen unsere verschwitzten Köpfe und so sind wir bald wieder unterwegs. Querung der B73, die Oste ist nun in greifbarer Nähe. Wir fahren die Schleife über Kleinwörden, vorbei an aufgemöbelten Katen vor deren Garagen Autos mit Hamburger Kennzeichen stehen. Wie die Zeit gewesen sein mag, damals vor -zig Jahren, als diese kleinen Katen mit dem wenigen Land drumherum Familien ernähren mußten. Und heute dienen sie als Zweitwohnsitz für Großstädter. Kurze Zeit später stehen wir am Stopschild an der B73 in Hechthausen. Bald darauf queren wir Bahngleise und biegen in Laumühlen ab auf das zweite Schmankerl dieser Fahrt. Der schmale, gut befahrbare Weg führt direkt am Ostedeich entlang, paßt sich deren Windungen an, vorbei am Mehe-Schöpfwerk, Biotopen und kleinen Naturseen mit regungslosen Anglern am Ufer. Sportboote tuckern gemächlich den Fluß entlang. Eine Kreuzotter sonnt sich mitten auf dem Weg - wo bin ich eigentlich?

Am "Alten Fährkrug" dann endlich die wohlverdiente zweite Rast. Den Gastgarten teilen wir mit anderen Radfahrern, die es auch hinausgezogen hat um den Tag draußen zu erleben. Wir strecken die Beine unter den Tisch, ziehen die letzten Bananen aus der Trikottasche und bestellen Mineralwasser um die mitgeführten Flüssigkeitsvorräte zu schonen. Urig, die kleine Fähre. Mittels Seilzug bewegt sie sich über die an dieser Stelle schmale Oste. Passagiere, die übergesetzt werden wollen, machen sich durch Rufen bemerkbar.

Aufbruch nach längerer Pause. Irgendwie ist die Luft raus. Ob es an der Mittagshitze liegt -die Luft flimmert nur so-, an der Rast oder in der Gewißheit, die Höhepunkte der Fahrt und den Wendepunkt hinter uns zu haben, wer weiß. Die Sinne sind jedenfalls nicht mehr so aufnahmefähig wie zuvor. So trödeln wir auf dem -ab dem Fährhaus mit Fahrverbot für Kfz belegten- Wirtschaftsweg weiter am Fluß entlang und biegen, als es nicht mehr weiter geht, Richtung Armstorf ab. Von dort finden wir den endlos scheinenden Weg durch das Lange Moor nach Moorausmoor. Vorher verschwinde ich noch kurz in einem der Maisfelder und helfe mit, den Ertrag zu steigern. In Moorausmoor schließt sich dann der Kreis, da sind wir heute morgen schon durchgekommen. Um nicht genau auf gleichem Weg zurückfahren zu müssen, fahren wir über Ankelohe, bezahlen die kürzere Wegstrecke aber mit holprigem Pflaster. In der Feldmark zwischen Wremen und Sievern trennen sich dann Hartmuts und meine Wege für heute.

Auf den verbleibenden Kilometern klingt der Tag nach, bruchstückhaft und ungeordnet. Unmöglich, all die Sinneseindrücke wiederzugeben, die ich in den knapp sieben Stunden aufgenommen habe: Die klare, frische Luft heute morgen, der Duft von Heu, Sonne in den Weizenfeldern, Insektensummen, unzählige Bussarde, ohne Flügelschlag in der Thermik kreisend. Aber auch der traurige Anblick überfahrener Igel, die sich vergeblich auf den Schutz ihrer Stacheln verlassen haben.

Und nicht zuletzt die Begebenheit, als Harti einem in seinem Vorgarten stehenden Mann im Vorbeifahren, dabei auf meine Liegehaltung auf dem Tria-Lenker deutend, trocken zuruft: "Dem da gehts heute nicht so gut!" Ich fiel vor Lachen fast vom Rad, den entgeisterten Blick des Mannes werde ich nie vergessen! Oder wenn er unvermutet in voller Fahrt seine Hochstimmung kundtut, indem er mit angewinkeltem rechten Arm hektisch rudernd eine Bayrische Blaskapelle nachahmt und dabei ein fröhliches "Hmpfta-Hmpfta" ertönen läßt!

Müde, verschwitzt, mit wackeligen Beinen aber glücklich, steige ich vom Rad. Einhundertzweiundvierzig Kilometer zeigt der Zähler, und jeder einzelne davon ein Erlebnis.

Peter Valentinitsch